Wasserspiele
26.06.14
Traumhaftes Wetter, ich bin auf dem Weg von SPB nach Murmansk. Um die Schlafenszeit nicht zu verpassen, sollte man auf die Uhr schauen; dunkel wird es um diese Jahreszeit hier nicht mehr. Ideal, sich zum Schlafen irgendwo in den Wald zu legen. Allein, mich dürstet nach einem richtigen Bett, daher beziehe ich ein Zimmer in einer kleinen Pension an einer Tankstelle. Kurz darauf, ich gehe gerade mit Laphroaig ein wenig spazieren, ist die Tankstelle voller Mopedfahrer. Ich erinnere mich, die Jungs unterwegs einige male passiert zu haben. Wir kommen ins Gespräch, sie haben einige tausend Kilometer in Russland hinter sich, zeigen sich aber auch beeindruckt von meiner Tour. Erstmalig höre ich von Motobuchta, einem Motorradtreffen im Nirgendwo. Ehe ich mich entschließen kann, mein Zimmer Zimmer sein zu lassen und mit den Jungs einfach weiter zu fahren, sind sie wieder unterwegs. Mir bleibt die traurige Erkenntnis einer verpassten Gelegenheit und ein geschenktes T Shirt. Dumm gelaufen.
Allein im Zimmer, 1 ½ Liter weißer Bär, ein wohlschmeckendes russisches Bier, passieren meine Kehle und sorgen bei immerwährendem Tageslicht für die nötige Bettschwere. Mich umfängt eine traumreiche Nacht. Motobuchta!
Zwei Jahre später
03.07.16
Soeben hat mich der stählerne und trotzdem schwimmende Kasten namens „Finnmaid“, nach 30stündiger Überfahrt auf die finnische Autobahn gespuckt. Ich rolle optimistisch meine, auf der Fahrt von Leipzig nach Travemünde arg strapazierte, Regenkombi zusammen und warte am vereinbarten Treffpunkt auf Jens, der sich mit Stenaline von Stockholm nach Helsinki fahren ließ.
Wenige km nach unserem emotionalen Wiedersehen ziehen wir die Regenkombi wieder an. Wir fahren Richtung Sortevala. Plötzlich winkt Nils Holgerson aus dem Wald. Vollbremsung. Wir sind in der Nähe von Parikkala. Hier hat der Künstler Veijo Rönkkönen mehrere Jahrzehnte seines Lebens damit verbracht, ein parkähnliches Waldstück mit etwa 500 Skulpturen zu bevölkern.
Wir fühlen uns wie in ein anderes Universum versetzt und fahren schwer beeindruckt und auch ein wenig nachdenklich weiter Richtung RU.
Uns wird ein fürchterliches Missverständnis bewusst. Ich telefonierte in Heksinki kurz mit Sergej, bevor meine Telefongesellschaft der Meinung war, uns zu trennen. Sergej vermutet uns in Swetogorsk und fährt dorthin. Russen halt, nicht reden, machen. Wir jedoch sind noch in Finnland und gut 200 km weiter nördlich. Wir verabreden uns nach Motobuchta in SPB und suchen erstmal ein Nachtlager. Irgendwo im Nirgendwo steht dann unser Zelt. Während wir noch Zugang zum See suchen um uns zu waschen, öffnet der Himmel seine Schleusen und wir werden ordentlich geduscht. Okay, Ziel erreicht, leider sind auch die um den Hals gehängten Handtücher etwas nass.
Als Ausgleich gestaltet sich der Grenzübertritt nach RU, einen Tag darauf nahe Sortavala, ganz ungewohnt entspannt. Zur Feier des Tages belohnen wir uns mit original russischem Fast Food; ich probiere Schschtie und Jens Borschtsch, beides leckere Eintöpfe, während vor dem Fenster ein ordentlicher Wolkenbruch niedergeht. Schön, hier im trockenen zu hocken, denke ich noch; derweil füllt sich der am Lenker der Stelvio vergessene Helm mit Wasser.
Wir ziehen die Regenkombi an und fahren weiter, Ruskeala ist unser Ziel. Dort soll es einen der schönsten Orte in RU Karelien geben. Auf der Suche nach einem Nachtlager versaufen wir fast in einem Wolkenbruch, werden aber mit einem wunderschönen Zeltplatz belohnt. Da wir tatkräftig helfen, gefälltes Gehölz zu stapeln, dürfen wir für lau, das heißt „besplatno“ hier zelten und baden und bekommen sogar noch Feuerholz geschenkt.
Ruskeala ist ein Kleinod der Natur, für russische Verhältnisse erstaunlich gut touristisch erschlossen, aber leider nicht überdacht. Wir werden nass....
Später, am Lagerfeuer zaubert Jens noch eine Flasche Aquavit aus dem Tankrucksack. Das Leben ist schön und der immer mal wieder aufkommende Regen uns nach dem Aquavit egal.
Karelien ist tatsächlich ein wunderschönes Stück Russland; wir ziehen die Regenkombi an und fahren, weitgehend unbehelligt von anderen Verkehrsteilnehmern, glücklich durch diese grandiose Landschaft.
Die Suche nach dem nächstem Nachtlager gestaltet sich dann allerdings nicht so einfach. In den nicht wenigen Motels will man uns nicht haben, angeblich alles voll.
Erstmal Regenkombi anziehen.
#Wir fahren von der Hauptstraße ab cirka 25 km weiter nach Segescha. Auch dort kein Hotelbett, aber eine geschäftstüchtige Hotelmanagerin besorgt uns eine komplette Wohnung für´n schlappen Hunnie. Kein warmes Wasser, nix zu Futtern, aber eine interessante Aussicht vom Balkon auf ein original russisches Neubaugebiet mit angrenzendem Kleingärten. Reisen bildet und das Geld scheint uns daher gar nicht so schlecht angelegt.
Am Morgen, wir haben eben die Regenkombi angezogen, interessante Begegnung am Straßenrand. Wir treffen 2 Russen, Andrej und Kolja, die mit Affen Twin und Tenere ebenfalls nach Teriberka unterwegs sind. Unsere Wege werden sich noch einige Male kreuzen. Die oben flüchtig erwähnte Tank-und Raststätte an welcher ich vor zwei Jahren die Mopedfahrer traf, ist geschlossen. Aber uns kann nichts geschehen, haben wir doch die Regenkombi an. Nachdem wir unsere Russen am obligatorischen Polarkreisstopp wiedertreffen, finden wir unseren ersten und letztlich auch einzigen ausgewiesenen Campingplatz in RU. Eine Hütte kostet 50 € aber Zelt aufstellen ist „besplatno“, also umsonst.
Na dann.... nachts regnet es, aber Robens hat mit dem „Fortress“ ein tolles Zelt geliefert; alles dicht. Meine Empfehlung für alle Fernreisenden mit etwas Sinn für Bequemlichkeit. Zumindest kann man sich darin ohne äquilibristische Fähigkeiten seiner Kleidung entledigen.
Leider bleibt uns auch am nächsten Tag die Regenkombi nicht erspart. So langsam dämmert uns, ein Nylonkleid ist wohl der neue Adelstitel. Irgendwann sind wir in Murmansk, haben irgendwie auch eine teure Penne gefunden und wundern uns; kein Regen? Ah, es tropft ein wenig, die Welt scheint wieder in Ordnung.
Durch das im Hotel angebotene Internet kann ich auch mein Telefonproblem beheben.
Abends treffen wir auch Andrej und Kolja wieder, was ordentlich gefeiert wird. Nach Wässerchen von außen, gibt es nun Wässerchen von innen, schließlich muss ja das Gleichgewicht wieder hergestellt werden.
Der ausgemusterte erste Atomeisbrecher „Lenin“ liegt als Museum in Murmansk. Bei meinem Besuch vor zwei Jahren unglücklicherweise geschlossen, ist er heute allen Motobuchta Teilnehmern besplatno zugänglich. Bei der Besichtigung verstehe ich einmal mehr Karhu´s Begeisterung für derart schwimmende Eisenanhäufungen und finde es schade, dass er nicht hier ist. Aber wir machen Bilder und kaufen ihm ein Shirt.
Irgendwann nehmen wir die letzten 200 Kilometer nach Teriberka unter die Räder. Das letzte Viertel ist unbefestigt. Die Fahrt jedoch ist einfach nur geil und langsam akzeptieren wir auch den Regen als unvermeidlichen Teil unserer Reise.
„Lohn der Angst“ heißt der Film, aus dem wir wissen, dass Waschbrettpisten mit ca. 80 Sachen erträglich werden. Da ging es um LKW mit Nitroglyzerin als Ladung. Mit über 100 fährt es sich sogar wie auf einer Autobahn. Solange kein Tiefsand kommt. Nachdem ich wild mit allen Extremitäten rudernd Bodenkontakt gerade noch abwenden kann und sich der Kupferbolzen wieder in den Enddarm zurückzieht, gehe ich verschämt auf 80 zurück. Eine vollbeladene Stelvio mit 290 kg Leermasse und einem alterndem Fahrlehrer am Volant ist eben doch kein Vollcrosser..... Früher war alles besser.
Teriberka, endlich am Ziel. Statt eines Tickets bekommen wir eine Mülltüte. Nichts hinterlassen, was nicht schon da war. Wir sind überwältigt.
Irgendwo im hohem Gras findet sich auch ein Plätzchen für unser Zelt. Bei uns würde man so etwas Tourenfahrertreffen nennen.
Der Platz ist excellent gewählt, direkt an der Barentssee, wilde Natur und Teriberka. Definiere Glück?
Keine rechte Ahnung, aber was wir hier erleben kommt dem ziemlich nahe.
Es gibt hier einen russischen Stelviofahrer, einen verrückten Wladiwostocker, einen ebensolchen Güllepumpentreiber, verrückte Clowns und ebensolche Mädels.
Menschen eben, sie Russen, wir Deutsche. Wir haben nicht dieselbe Sprache, verstehen uns aber trotzdem bestens. Aus Unbekannten werden Freunde; es ist ein einmaliges Erlebnis. Für uns kein Motorradtreffen, eher eine Begegnung. Auch für das leibliche Wohl ist bestens gesorgt; das Bier fliest im Strömen, es gibt Soljanka und Ucha, eine köstliche russische Fischsuppe.
Lediglich das Wetter sorgt für den einzigen Wermutstropfen, die Luft ist feucht und starker Nebel erschwert die Jagd auf gute Fotos.
Der Abschied von diesem traumhaften Flecken Erde fällt nicht leicht, man sollte wohl generell nie mit einem Zeitlimit auf Reisen gehen. Schon gar nicht in Russland.
Jetzt geht es nach SPB, Sergej entgegen. Nachdem auf Grund eines Missverständnisses, welches er nicht zu verantworten hatte, er mit einem 250er Roller satte 600 km umsonst im Regen gefahren ist, nur um uns zu sehen, ändern wir unsere ursprünlichen Pläne und fahren nach SPB. Deja vu. Bereits schon einmal ist Sergej diesselbe Strecke, ebenfalls im strömenden Regen, für uns gefahren. Um ein schweres Problem mit vergessenen Migrationskarten aus der Welt zu schaffen. Freundschaft.
Details sind nicht wichtig. Nur soviel: Petrosavodsk ist, entgegen anderer Behauptungen, vor allem im Regen keine wirklich attraktive Stadt. Verfahren in Russland ist auch echt Scheiße, wenn man es nicht beizeiten merkt. WIR hatten Glück. Oder den 7. Sinn. Jedenfalls entschließen wir uns nach 30 km pfützenübersätem Feldweg umzukehren.
Wasser, wenn es der Erdanziehungskraft folgend vom Himmel fällt, nervt ein wenig ab einer gewissen Intensität. Bei uns ist die Schmerzgrenze langsam erreicht und erste Flüche hallen durch die russischen Wälder.
Am Abend suchen wir erst ein Zimmer, danach nur noch einen Platz für unser Zelt. In einem kleinen Dorf, abseits von der Straße werden wir fündig.
Aufs´s Geratewohl von der Hauptstraße abgebogen, um einen brauchbaren Zeltplatz zu finden, landen wir in einer Datscha, nachdem uns ein Wladimir von der Straße weggefangen hat. Wir schlafen im Gästehaus im Garten von ebendiesem Wladimir, ein Rentner aus Segescha. Er verbringt hier mit seiner Frau den Sommer, baut Obst und Gemüse an und füttert ein paar Hühner. Wladimire scheinen wohl nette Menschen zu sein.
Weiter nach SPB, wir beeilen uns wohl etwas zu sehr. Ein schwarz/weißer Stab in der Hand eines Polizisten stoppt unseren Vorwärtsdrang.
Wir werden in ein Polizeiauto zum fernsehen eingeladen und sehen zwei Mopedfahrer, die mit 103 km/h gemessen werden. Sind wir das? Mit ernster Amtsmiene wird uns erklärt, dass wir lediglich halb so schnell hätten fahren dürfen. Es ist von „Straff“ die Rede. Meine schüchterne Frage „seytschass Sibirija“ (jetzt Sibirien?) löst jedoch große Heiterkeit im Amtsmobil aus, wir bekommen ohne „Straff“ unsere Papiere zurück, während sich die Bullerei dem nächsten Rennfahrer widmet.
Die letzte Nacht vor SPB verbringen wir in Olonez in einem Hotel, in welchem wir 2007 mit unseren Russen schon mal eingekehrt sind. Das nächste Dejavu.
Wir nehmen die letzten km nach SPB unter die Reifen. Der Himmel hängt drohend über uns, wie ein nasses Handtuch.
An der Stadtgrenze ist es soweit, sintflutartig kommt es über uns. Wir ziehen die Re.....ja sorry, ich wiederhole mich. Hilft auch nicht mehr wirklich. Irgendwie werden wir bis zur „Kusnezowskaja Uliza“ gespült und liegen uns endlich mit Sergej in den Armen, der hier eine Motorradwerkstatt betreibt.
Auch hier ist man der Meinung, natürlich ausschließlich im Interesse der Gesundheit, Wässerchen außen > Wässerchen innen. Natürlich passen wir uns den landestypischen Gepflogenheiten an, schließlich sollte man sein Gastrecht nicht über Gebühr strapazieren.
Nach zwei wundervollen Tagen bei Sergej, heißt es leider schon wieder Abschied nehmen.
Wir nehmen die wenig befahrene Küstenstraße über Vyborg nach Finnland. Eine letzte Rast an einer russischen Straßenküche, problemloser Grenzübertritt, eine letzte gemeinsame Nacht in einer Hütte an der finnischen Ostsee. Der aufkommende Wehmut rücken wir mit russischen Bier und Reiseplänen für 2017 zu Leibe.
Zu Letzterem zu einem späteren Zeitpunkt.
Wir trennen uns, Jens muss nach Stockholm, ich nach Lübeck.
Beim Warten auf die Fähre im Hafen kommt mir der Verdacht, der Wettergott möchte mich ersäufen. Aber inzwischen bin ich abgehärtet und die Sauna auf der „Finnmaid“ entschädigt mich danach reichlich.
Auf der Fähre wimmelt es nur so von gelb/roten Bikern, die zu einem Treffen irgendwo in Deutschland unterwegs sind. Sollen sie doch, ich bin felsenfest davon überzeugt: Unseres war war besser!!