Die Laube auf dem Grundstück der Staudachers genießt in den Kreisen der winterfahrenden Zunft seit Jahrzehnten einen legendären Ruf. Auch ich komme, nach dem Anpassen meiner neuen Schneekette in den Genuß von Kaffee, Kuchen und sogar ein kleines Schnäpserl wird gereicht. Hier lerne ich Fabrice kennen, ein munterer Franzose, unterwegs auf einer Transalp mit Stützskie und die Fleisch gewordene gute Laune.
Man redet Benzin und zum ersten mal höre ich etwas wie: Stella Alpina Gaudium maximum. Oder so. Da Fabrice auch Stunden später auf der Edelraute beim Tauerntreffen von der Stella Alpina spricht ist meine Neugier geweckt.
Stella Alpina wurde erstmals 1967 ausgetragen und gilt als das höchste Motorradtreffen Europas. Beginnend in Bardoneccia im Piemont geht es von anfangs geteerten, später geschotterten Serpentinen zum in ca 2300m Höhe gelegenen Refugium Scarfotti; das "Basislager". Von dort kann man auf geschotterten und teilverschneiten Pfaden bis zum Fahnenmast in 3050 m Höhe fahren; allerdings nicht jedes Jahr..
Vom Donnerstag bis Samstag findet sich nahezu alles ein was zwei, drei und manchmal auch mehr Räder hat, um Sonntag früh unter Mordsgetöse in einer gewältigen Staubwolke den Berg hinaufzuglühen. Soweit die Legende. 2011 sollen es wohl um die 1000 Fahrzeuge gewesen sein.
Eine größere Therapiegruppe auf dem Berg und Moppeds in artgerechter Haltung. Natürlich muss ich da unbedingt hin. Leider bin ich 2012 bereits zum 20sten Quotatreffen am Comer See verplant, so das ich lediglich am Donnerstag vor dem Treffen zu einer kurzen Stipvisite den Berg hinauffahre. Die Auffahrt durch dichte Wolken zu zweit mit viel Gepäck ist nicht ganz leicht, dafür werden wir mit einer traumhaften Lokation belohnt. Für mich ist klar, Wales wo das 21ste Guzzi Enduro Treffen stattfindet muss noch ein wenig auf mich warten, unglücklicherweise überschneiden sich die Termine.
Leider kann ich wohl auch die Stella 2013 abschreiben, mein Arbeitgeber DHL erklärt mir mehrfach wortreich die Unmöglichkeit ausgerechnet an diesem WE frei zu machen. Doch wieder ist mir Eyjafjallajökull, der Gott der Mopedfahrer gnädig gesinnt; im Personaleinsatzzentrum bemerkt man plötzlich meine übermäßige Anzahl Überstunden und verordnet mir panisch Zwangsfrei. Genau am Stella WE und kurz vor der Angst. Es gibt Dinge im Wirrwahr verselbständigter Verwaltungsstrukturen, die muss und werde ich nie verstehen.
Traditionell wird nun hektisch bis zur letzten Minute drauflosgeschraubt, auf eine Probefahrt verzichte ich aus Zeitgründen. Beim Packen die nächste Irritation, wo sind Ersatzschlauch und Gepäckrolle? Langsam dämmerts, verborgt. Mit dem, Versprechen baldigster Rückgabe. Sollte irgendjemand jetzt beim Lesen ein schlechtes Gewissen haben, euch geschieht ganz recht.
Donnerstag Mittag bin ich endlich unterwegs. Autobahn bis zum Bodensee, dort fahre ich durch einen mautpflichtigen Tunnel. Die Korridorvignette ist abgeschafft, daher muss für 2 km österreichische Autobahn eine 10 Tagesvignette erstehen. In der Schweiz gibt es sowas nicht, dort entrichtet man auch für kurze Autobahnetappen den Preis für ein ganzes Jahr; Wochen und Monatspickerl sind dort nicht im Angebot. Man möchte am liebsten mit dem Kopf gegen die Wand schlagen, allerdings nicht mit dem eigenen.
Also Landstrasse, dauert zwar ist aber nicht ohne Reiz. So rein landschaftlich ist die Schweiz ein echtes Juwel. Auf einem kleinen Zeltplatz verbringe ich die erste Nacht. Am nächsten Morgen breche ich früh auf und suche mit meinem veralteten Kartenmaterial verzweifelt die Uferstrasse an der Ostseite des Lago Maggiore. Endlich gefunden eine Enttäuschung, nur selten geben Bebauung und Wald den Blick auf den See frei. Dafür entdecke ich ein chaotisches Technikmuseum. Scheinbar wahllos hat man alles irgendwie technische vom Teekesssel über diverse Fahrzeuge und Statuen bis zum Flugzeug gehortet und malerisch angeordnet. Dann noch eine Pförtnerloge mit Jemand der mal fix 5 Euronen Eintritt abgreift, fertig ist das Museum. Irgendwie vertraut wie auf meinem Hof, nur viel größer. Vielleicht sollte auch ich über Eintritt nachdenken? Langsam wird es aber südeuropäisch warm, die Mittagssonne kocht mich gar. Ich lechze nach Fahrtwind und gebe mein, Ziel vor Augen, ordentlich Gas.
Endlich, Bardoneccia. Im Ort treffe ich die ersten Stella Fahrer. Das Wetter ist dieses Jahr sensationell und gemeinsam fahren wir zum Refugio Scarfotti. Es ist sehr emotional, die Berge, Wasserfälle, Schotterstrassen, Kurven. Mensch und Maschine fühlen sich pudelwohl. Der Platz ist viel beeindruckender als in meiner Erinnerung. Ich baue das Zelt auf und lerne wie nebenbei Öre kennen; ein Rattentreiber aus dem Eichsfeld. Da wir beide "Ossis" sind zündet es zwischen uns sofort, obgleich mir dieses OW Gewäsch eigentlich tierisch auf den Zeiger geht; inzwischen kenne ich mindestens genausoviele nette Menschen aus den alten Bundesländern wie Ossis die komplette A....löcher sind.
Aber uns hungerts und dürstets, daher nochmal nach Bardoneccia zum einkaufen. Dort fahre ich erstmal verkehrt in eine Einbahnstrasse, Öre kringelt sich vor Lachen als ich ihm sage, was ich von Beruf bin.
Bei der Auffahrt zum Refugio geht es dann mit mir durch. 30 Jahre Motorsport fordern ihren Tribut, die Gene sind mutiert und ich treibe, nein prügle die Baronin den Berg hinauf. Kaum zu glauben, was mit den knapp 300 Kilo Eisenkacke alles möglich ist. Die BMW Treiber lassen mich bereitwillig vorbei aber dem ersten LC 8 Fahrer entgleisen regelrecht die Gesichtszüge als er registriert, was da an ihm vorbeisegelt. Irgendwann trennt sich der Vor-vom Nachschalldämpfer. Geiler Sound. Das Federbein niest etwas Öl und mutiert zur Luftpumpe, der Rahmen beginnt die bei der ersten Serie bekannten Risse zu zeigen. Für mich als Jünger des Lichtbogens ist auch das kein Problem. Alles wird dem Gott der Geschwindigkeit geopfert. Das Gesicht des KTM Treibers? UNBEZAHLBAR!!!!
Samstag morgen ist es dann soweit, ich schicke Öre als Bremsklotz vorraus, hinauf zu neuen Höhen. Erstaunlich, was selbst mit seiner K 75 RT alles geht; sicher liegt es an der Lackierung. Ist doch Öre in den Farben des Freistaates Sachsen unterwegs. In 2800 m Höhe ist dann Schluß, Schnee versperrt die Weiterfahrt. Der lange Winter macht sich auch hier bemerkbar. Klimawandel? Mgrnfn!
Wir wollen aber mehr, schöpfen Wasser aus einem Gebirgsbach und wagen den Aufstieg per Pedes. Die 200m Höhenunterschied in knapp 3000 m Höhe verlangen uns alles ab, aber das Erfolgserlebnis und die traumhafte Aussicht entschädigen uns für die Strapazen. Allerdings liegt es in der Natur dieses Treffens dort mit dem Moped hinzufahren; daher kann das nicht das letzte mal sein, daß ich mich hierher verirre.
Nur ungern verlasse ich dieses traumhaft schöne Fleckchen Erde. Es ist nicht nur ein Ort mit einer beeindruckender Historie; man kann hier auch unter all den Motorrädern die Seele baumeln lassen, mit sich selber allein sein und mental so richtig auftanken.
Im Morgengrauen des Sonntages packe ich, trinke nochmal das klare Gebirgsbachwasser und breche auf nach Hause. Die direkte Verbindung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade. Wie unmöglich langweilig. Ich wähle eine für mich interessante Route; das ich auf dieser Route Fabrice treffe lässt wohl eine gewisse Seelenverwandschaft erkennen. Wir fahren gemeinsam mehrere Pässe, ich lass mich einfach leiten. Die Gegend ist traumhaft schön; das Gekurve passauf, passab auch. Murmeltiere, Bernhardiner, Schnee und Pässe. Auf dem Sankt Bernhard löffle ich irgendeine lokale Köstlichkeit mit Kartoffeln und Käse in mich hienein. Würde jetzt jemand die Welt anhalten, ich hätte nichts dagegen. Weiter geht es durch die Alpen. Plötzlich vermisse ich den Vortrieb eines Zylinders. Ich lasse mich noch ein wenig rollen um den Übeltäter genau identifizieren zu können. LINKS ist das Problem. Fabrice hält direkt hinter mir. Während wir noch grübelnd die Baronin anstarren, kippt diese plötzlich um. Wir greifen beide blitzschnell zu und verhindern den Sturz, während wir uns ratlos ansehen höre ich ein verräterisches Zischen. Ich habe mir noch einen kapitalen Nagel eingefahren. EXKREMENTE!! Während mir Fabrice das Flicken erspart indem er einfach seinen Ersatzschlauch in der Baronin verbaut, versuche ich das Zündungsproblem zu lösen. Das gebrandte Kind scheut bekanntlich das Feuer, daher habe ich Zündkerzen, Zündkabel, Kerzenstecker, Regler, eine Lichtmaschine und diverse Relais eingepackt. Eine Zündspule habe ich nicht dabei.
Ich ziehe den Stecker von der linken Einspritzdüse, ernenne den linken Zylider feierlich zum Ölkühler und entschließe mich mit halber Kraft nach Hause zu fahren. Eine Zündspule bekomme ich hier zum Sonntag sowieso nicht. Pässe gehen natürlich mit einem Zylinder nicht mehr, daher fahre ich durch den Mont Blanc Tunnel . 27,80 € für eine einfache Durchfahrt sind aber auch eine Hausnummer. Leider kann ich nicht zurück. Auch die 36 € für eine Jahresvignette durch die Schweiz muss ich jetzt berappen. Irgenwann mit etwa 100 km/h bin ich auf deutschen Boden. Nicht, daß dies irgendwie von Belang wäre, es erleichtert jedoch den ADAC zu rufen.
Der Tag geht schlafen, es dämmert, wird Nacht. Der vebliebene Zylinder versieht zuverlässig seinen Dienst; Mensch und Maschine werden mehr und mehr eins. Meine Gedanken werden mit jedem zurückgelegten Kilometer klarer. Probleme, vor wenigen Tagen noch übermächtig, erscheinen plötzlich klein und nichtig. Eine große Ruhe und Zufriedenheit breitet sich in mir aus. Vielleicht musste heute alles genauso und nicht anders passieren.
Unbeirrbar stampft die halbe Guzzi der Heimat entgegen und mir wird einmal mehr klar; Probleme kann man lösen oder sich damit arrangieren. Kurz nach vier Uhr morgens habe wir es geschafft; ein müder Mann mit seinem alten Pferd. 1475 km, davon 1005 km mit nur einem Zylinder. Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Ich bin auch dankbar für dieses Motorrad und ich danke Fabrice. Damit habe ich mir wohl auch den Beinamen Eisenarsch redlich verdient.
Dieses Wochenende hat mir unglaublich viel gegeben und mich vor allen Dingen mental gefestigt. Ich denke, nun kann ich getrost und ohne Sorge in die Zukunft schauen.