Quotatreffen
12 gemeinsame Jahre und ungezählte Kilometer, zurückgelegt vorwiegend in der nördlichen Hemisphäre, haben aus dem "Roten Baron" und mir ein gutes Team geformt. Bei besagtem Baron handelt es sich um eine betagte Moto Guzzi Quota, eine der wenigen Enduros, die das Werk am Comer See verlassen haben. Leider hat es in all den Jahren nie eine Begegnung mit fahrenden Artgenossen gegeben und unheilvolle Gedanken geistern in meinem benzinumnebelten Gehirn. Ist meine Q, ähnlich Finemore Coopers "Letzten Moikaner", vielleicht die Einzige ihrer Art? Oder fristen in versteckten Reservaten vielleicht doch noch andere Quotas ein kümmerlichen Dasein?
Dieser brennenden Frage auf den Grund zu gehen starte ich am 30.Juni zu einer mehrtägigen Studienreise in, für uns beide völlig untypische, südliche Gestade. Giorgio hat nach "Les Salles Sur Verdon" geladen, ein in malerische Berge gebettetes kleines Dorf in den französischen Bergalpen, 1974 neu entstanden nachdem das ursprüngliche Dorf dem Stau des Verdon weichen musste und gesprengt wurde. Heute als die jüngste Gemeinde Frankreichs enzyklopädiert sehe ich trotzdem eine Seelenverwandschaft mit Eythra und Hoyersdorf , die 1985 und 2009 hier in Sachsen der Braunkohle weichen mussten.
Heimat ist Heimat, da kann man Gotteshäuser oder Dorflinden durch die Gegend karren wie man will.
Aber dort liegt unser Ziel. Nur die Temperaturen geben etwas Anlass zur Sorge. Sonst eher bei ca. 40°C unter den aktuellen Werten unterwegs ist noch nicht absehbar, wie Mann und Maschine diese Extremverhältnisse meistern werden. Erstmals mit an Bord ist auch Sandra, die geheimnisvolle Stimme aus einem kleinem silbernen Kästchen, welche mir den Weg weisen soll. Von Meinolf übrigens liebevoll mit "Lenkerschlampe" tituliert. Ohne "Semja Flagman" bin ich etwas verunsichert, also wird noch Eheweib Jana als moralische Stütze auf dem Sozius platziert.
Die erste Übernachtung am, als Schickimickiganzganzteuermillionärsgegend zu Unrecht verteufeltem Starnberger See, ist für uns gratis. Vielleicht liegt es aber lediglich daran, daß uns im dichten Gehölz einfach niemand zum Abkassieren gefunden hat?
Am nächsten Tag das erste Teilziel. Von Sandra sicher über wunderschöne Straßen und Sträßchen, quer durch Österreich und die Schweiz geleitet erreichen wir Mandello del Lario, die Geburtsstätte aller "Moto Guzzis" am Comer See. Heiliger Boden. Jede Guzzi muss einmal an die Stätte ihrer Herkunft zurückkehren. Ich bin ein wenig ergriffen, Hitze und Bezindunst tuen ein übriges.
Direkt vor dem Werkstor habe ich den Eindruck, der Baron blinzelt mir verschmitzt mit seinen Lampen zu. Oder flirtet er mit der roten Diva, die justament in diesem Augenblick selbstsicher vorbeitöftelt? Meine erste Quota, ausgerechnet vor dem Guzzi Werk in Mandello. Das kann nur ein gutes Omen sein und hochmotiviert fahren wir weiter Richtung ligurische Küste.
Die Euphorie verfliegt in Milano. Der Verkehr und die Temperaturen stellen alles bis dahin erlebte in den Schatten. Bei 140° Öltemperatur gönnen wir dem Baron eine längere Pause. Danach fliegen wir, alle Prinzipien über Bord werfend, im T-Shirt auf der Autobahn der Küste zu. Dort der nächste Schock.
Irgendwie schwebte mir sowas vor, wie in den frühen James Bond Filmen. Malerische leere Küstenstraßen, natürlich ohne Autojagden und Geballer. Jedoch, die Straßen sind vor allem in den Orten, derart vollgestopft mit Fortbewegungsmitteln jeder Art, daß wir von gemütlichen Chruisen derart weit entfernt sind wie Schumi vom F1 WM Titel. Ja klar, Hochsaison. Ein schnöder Blick in den Kalender und eine geringfügig andere Streckenplanung hätte uns einigen Stress erspart.
So jedoch übernachten wir wegen überfüllter Campingplätze in einem alten Tunnel, hupfen ins Mittelmeer, trinken Rotwein und finden die Welt trotzdem ganz in Ordnung, ja schön. Auch die ebenfalls im Tunnel wohnenden Fledermäuse akzeptieren uns diese Nacht als Nachbarn.
Unsere Hoffnung auf leere Straßen durch eine frühen Start in den Tag erweist sich als trügerisch. Sind das die ersten von heute oder die letzten von gestern, die hier noch in Massen rumgondeln? Von dieser Frage sowie dem südländischen Lebensrhytmus sind wir einfach überfordert.
Die vollen Straßen vor Augen verkneifen wir uns die Fahrt durch Monaco und fahren nur daran vorbei. Der Lohn dafür sind malerische alte Dörfer römischen Ursprungs, eine Tempelruine aus der Zeit Kaiser Augustu´s und ein phantastischer Blick auf das Fürstentum von oben.
In Nizza verliere ich abermals die Nerven und lenke den leise vor sich hin köchelnden Baron wieder auf die mautpflichtige Autobahn. Diesmal wild entschlossen, diese erst zur Fahrt ins Landesinnere wieder zu verlassen.
Bei Frejus ein letzter Sprung ins Mittelmeer und Proviant fassen. Dabei erfahren wir kopfschüttelnd, daß es bereits Supermärkte gibt, in denen man ausschließlich mit Karte zahlen kann. Wenn deine Karte spinnt verhungerst Du kläglich direkt vor der Kasse, selbst wenn dir die Silberlinge zuhauf aus der Tasche quellen. Die ganze Welt ist ein Irrenhaus, die Zentrale ist dort.
Endlich gen Norden, die Straßen leeren sich, werden schmaler, kurvenreicher. Hin und wieder ein Trekker, sonst keine Fahrzeugbewegung. Die Stimmung steigt und erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt, als ich aus den Augenwinkeln en passant das wohlgeformte Heck einer Stelvio wahrnehme. Brems, Schotter spritzt, schnelle Wendung, der V Zwo stampft eine letzte kurze Steigung hinauf und plötzlich stehen wir auf einem Hof umringt von Quota´s, Stelvio´s, NTX und anderen. Den Moppeds sieht man die artgerechte Haltung und ihren Besitzern dieselbe Macke an, die ich selbst so liebevoll pflege. Ich fühle mich sofort zu Hause und genieße jede Sekunde.
Aus den Namen im Forum werden Gesichter, werden Menschen. Nur selten habe ich mich auf einem Treffen auf Anhieb so wohl und den anderen Teilnehmern gegenüber so vertraut gefühlt, obwohl ich keinen von ihnen vorher persönlich kannte. Ganz besonders danken möchte ich an dieser Stelle Giorgio, für seine Organisation, sein Buch, seine Art mit mir Sprachkretin umzugehen und seine zirpende Porzelanzikade, die mich immer an´s Treffen erinnert aber mir auch nächtens den Schlaf raubt ;o)
Tja, und dann ist es mir doch passiert. Die jüngere Geschichte kannt fürwahr genügend Bespiele von alten Böcken und jungen Gemüse; Flavio Briatore, Lothar Matthäus, Keith Richards und auch ich bin nicht davor gefeit, dem Jungvolk den Hof zu machen.
Diese Stelvio ist aber auch ein geiles Luder.
Die Zeit vergeht wie im Flug, Samstag abend verabreden wir uns für´s nächste Jahr in Dänemark und starten Richtung Heimat.
Bei einem viel zu kurzen Abstecher ins Verdon bereuen wir zutiefst nicht mehr Zeit zu haben. Die Gegend hier ist traumhaft schön und hätte durchaus verdient etwas intensiver erkundet zu werden. Doch, die Arbeit ruft. Aber, noch können wir es uns leisten, auf Nebenstraßen Richtung Heimat zu zockeln. Plötzlich eiert der Baron verdächtig, ich treffe keine Linie mehr und halte an. Mh, Platten am Hinterrad. Ehe ich Gelegenheit habe in Panik zu verfallen schickt mir Eyjafjallajökull, der große Geist der "Semja Flagman" zwei französische Motorradfahrer. Ausserstande uns verbal zu verständigen ist das Problem trotzdem offensichtlich. Der eine greift unter die Sitzbank seiner "Fazer", drückt mir eine Pulle Pannespray in die Hand und freut sich sichtlich, als sich des Barons Hinterrad wieder mit Luft füllt. Kurzer Gruß, fünfstellige Drehzahlen, schwarze Streifen auf dem Asphalt und weg waren die beiden, ich habe gerade mal Zeit für ein kurzes Dankeschön. Reisen bildet.
Bei der Weiterfahrt über die wunderschöne Napoleonroute stellt sich leider heraus, daß Pannenspray wohl für Schlauchreifen keine Dauerlösung darstellt. Nochmals finden wir Hilfe durch einen französischen Biker, der alle Gehöfte nach einem Kompressor abklappert. Wieder sind einige Kilometer gewonnen. Auf der Autobahn ist die Luft dann ganz weg. Irgendwie, alle paar Meter mit einer schnell an der Raststätte erworbenen Pumpe nachlegend, schleppen wir uns dann gerade noch von der Autobahn runter. Nun befinden wir uns im Niemandsland. Die Autobahn in Frankreich ist Privatgelände und darf von Automobilclubs nicht befahren werden. Das normale Straßennetz schon. Wir sind da irgendwo dazwischen, also buchstäblich zwischen den Stühlen. Beide Organisationen haben uns Hilfe zugesagt, aber niemand kommt. Sonntag abend einen Motorradschlauch auftreiben? Kann ich den Scherz nochmal in Farbe hören?
Aber, das Wetter ist gut und das große M in Reichweite. Das ich aber für jedes Bier so einen Drecksburger fressen muss.......naja kaufen, nicht fressen um der Wahrheit das Geleit zu geben. Mit ordentlich Wut im Bauch fliegen die Dinger auch ganz schön weit..... Wir legen uns neben den Baron auf die Wiese und dämmern, von nicht nachlassenden Straßenlärm umtost, vor uns hin. Der nächste Tag sieht uns übernächtigt aber voller Tatendrang. Wieder profitieren wir von der selbstlosen Hilfe eines jungen Franzosen; er fährt uns zu einer BMW Niederlassung und zieht uns dann später den dort mühevoll erworbenen Schlauch auf. Geld möchte er nicht, outet sich selbst als Motorradfahrer.
Leider zählt jetzt, bedingt durch den Zeitverlust nur noch Effektivität, so das für die letzten 850 km vorrangig die Autobahn befahren werden muss. Als letztes Highlight entpuppt sich die BAB 93 Richtung Erfurt, eine der schönsten Autobahntrassen, die ich je befahren habe. Nachdem wir uns 2500 km wie Dörrobst gefühlt haben versucht Petrus auf den letzten 100 km alles wett zu machen und öffnet Himmels Schleusen. Streckenweise bis auf 40 km/h zurückbremsend schleppen wir uns kurz vor Mitternacht nach Hause. Nasse Lederhosen sind einfach äks, aber scheiß drauf. Anhalten erst wieder am Ziel.......
Zu Hause ist dann auch nicht mehr alles so wie vorher, damit bekomm das Abenteuer auch noch einen leicht traurigen Beigeschmack. Die Familie ist nicht mehr ganz so vollständig, wie bei unserem Start. Ein geschätztes Mitglied hatte sich in ein (angebliches besseres) Jenseits davongemacht. Jetzt fallen mir all die Worte ein, die ich ihm noch sagen wollte, vorbei, verweht, nie wieder.
Meine Meinung über die vielerorts böse gescholtenen Franzosen hat sich sehr geändert; ich wage zu bezweifeln, daß ich in meinem Heimatland die Hilfe bekommen hätte, die mir dort, in Frankreich, ungefragt zuteil geworden ist.
Und, zu guter letzt: JA, ES GIBT NOCH ANDERE Q,s. Ein schönes Gefühl mit seiner Macke nicht allein zu sein und all die vielen neuen Bekanntschaften verleien meinen Studien erst die richtige Würze.
Ach ja und, beim Sichten der Bilder hat der durch nordische Luft verwöhnte Fotodiletant glasklar erkennen müssen: da muss´n Bolfildor här. S lähm iss ämd geen gonjungdiv.