Eiskalt erwischt
Semja Flagman auf Kaffeefahrt
Semja stammt aus dem Russischen und heißt Familie und als solche fühlen wir, Jens, Hörnchen und Jörg uns auch. Gemeinsam durchlebte abenteuerliche Urlaubsfahrten und durchlittene Zeiten zu Haus haben uns zusammengeschweißt.
Unser Familienname entstand in Anlehnung an unser Lieblingsgetränk auf der legendären Ostseeumrundung. Kleiner Tip: es handelt sich nicht um eine exotische Teesorte!
Diversen Umständen zufolge hat es uns derzeit weit auseinandergewürfelt. Hörnchen hantiert auf Grönland als Gastarbeiter ohne Migrationshintergrund mit ungezählten Farbtöpfen. Grönland fällt als Dauerwohnsitz komplett weg, da die dortigen Regierigen Moppedfahn auf ihrer Insel unter Todesstrafe gestellt haben. Oder so. Jedenfalls ist es verboten.
Jens ist nebst Weib (Jensemann og Kona) dauerhaft nach Porsgrunn in Südnorwegen übergesiedelt.
Ich halte hier die Stellung, quasi das Headquarter, und versorge die beiden mit Nachrichten und unverzichtbaren Genussmitteln.
Sicher denkt Jeder jetzt: klar, Allohol, Kippen!!! Aber letzteres ist beispielsweise in Grönland für, zugegebenermaßen unanständig viel Geld, zu haben, Sauerkraut jedoch nicht!
Aus den Augen, aus dem Sinn, heißt es oft, jedoch nicht bei uns. Der Kontakt reißt nie ab und irgendwann Anfang Dezember 2009 hole ich Hörnchen vom Flughafen ab. Urlaub von der Insel ist angesagt und natürlich werden noch auf der Heimfahrt Pläne geschmiedet. Familienzusammenführung.
Bei Hörnchen hat es außerdem noch Familienzuwachs gegeben, ein High Tech Produkt aus Bayern nebst angepassten Boot der Beiwagenschmiede Ott hat die Aufgaben der betagten Rotax MZ übernommen. Ich, als Bevollmächtigter mit der Zulassung betraut, fühle mich kurzzeitig überfordert: meldet man so was nun als Fahrzeug oder als Nebenwohnsitz an?
Jedenfalls gibt es ein Papier, aus dem hervorgeht, das Hörnchen mit dem Ding am Straßenverkehr teilnehmen darf. Schnell noch ein paar Nettigkeiten wie neue Batterie und diverse Verkleidungen sowie einer riesengroßen Scheibe drangeschraubt, die üblichen Wintervorbereitungen getroffen und schon ist der Boxer startbereit.
Bei mir ist es nicht ganz so einfach, schon fast traditionell wird bis zur buchstäblich letzten Minute am "Roten Baron" geschraubt. Natürlich fehlt, ebenfalls schon traditionell, die Zeit für eine gründliche Probefahrt. Aber man hat ja Vertrauen in sein Tun und als langjährigerWinterfahrer weiß man schließlich bescheid.
Die Fähre ist gebucht, wir packen die Gespanne und starten am Nachmittag des 28.12. nach Rostock. Wir sind entspannt, die Fähre geht 23.00 nach Trelleborg, Zeitdruck haben wir nicht.
Planmäßig schiffen wir uns ein. Ich weiß auch nicht, warum man das so nennt, aber nein, wir haben keine Blasenschwäche.
6.00 rollen wir unausgeschlafen vom Dampfer. Ein sehr kleiner Mensch, welcher mit seiner Familie in unserer unmittelbaren Nähe schlafen sollte, ersuchte die ganze Nacht sehr lautstark um Aufmerksamkeit, Dunkelheit, Windeln, Milch, Bier, Whisky, wir wissen es nicht. Seine Ausdauer allerdings ist bemerkenswert.
Trelleborg empfängt uns mit Temperaturen um den Gefrierpunkt und Nebel.
Mein Visier gefriert. Ich habe der Pin Look Technik derart vertraut, das ich mein Heizvisier zu Hause gelassen habe. Der erste Fauxpas und weitere werden folgen.
Ortsausgang Göteborg, wir fahren von nasskaltem Nebelklima direkt in den Winter. Ich habe dergleichen noch nie erlebt, ohne Übergang, ohne Vorwarnung, plötzlich alles weiß.
Schneetreiben. Fast unmöglich auf der Strasse die Spur und Sichtkontakt zu Hörnchen zu halten. Plötzlich, allein. Ich warte. Fahre zurück, er kommt mir auf der anderen Seite der Autobahn entgegen.
An der zweiten Tankstelle finden wir uns wieder. Wir sollten dringend an unserer Kommunikation arbeiten.
Die Fähre in Strömstadt schaffen wir nicht mehr. Wir beschließen bis nach Moss zu fahren. Sind 100 km mehr, aber die dortige Fähre fährt aller 30 min. und ist deutlich billiger.
Das Thermometer fällt und fällt.
Wir fahren immer noch im Sommerornat, Hörnchen bekommt ernsthafte Probleme im Kniebereich und auch mir ist nicht mehr warm. Selbst auf der halbstündigen Fahrt mit der Fähre tauen wir nicht wirklich auf.
Bei -12°C reiten wir zwei Stunden später in Porsgrunn ein. Wie immer dort verfahre ich mich gründlich. Als ich endlich den Weg finde fehlt plötzlich Hörnchen. Er hat sich festgefahren, ist außer sich.
Die Schneekette soll montiert werden. Motorradbekleidung fliegt durch die Luft, ich höre Flüche auf deutsch und dänisch, bin froh, mit der Schneekette nicht ausgepeitscht zu werden.
Irgendwie bringen wir die letzten paar Meter hinter uns, endlich liegen wir uns mit Jens in den Armen und ein heißer Tee vertreibt die letzten Wolken vom Gemüt.
Porsgrunn gleicht einer Märchenwelt. Bedingt durch die Kälte hat sich überall dicker Raureif gebildet, es ist traumhaft schön.
Silvester feiern wir bei Klaus, einem deutschen Freund von Jens, welcher bereits seit fast 20 Jahren in Norwegen lebt.
Es ist einer der schönsten Silvester, an die ich mich erinnern kann. Die Gäste sind halb deutsch, halb norwegisch. Viele Kinder, wenig Alkohol, viel Spaß. Unsere Gastgeber verkleiden sich und spielen Dinner for Two.
Das ich mich dabei vor lachen nicht besudelt habe, wird für mich eines der vielen Wunder dieses Abends bleiben.
Klaus stellt einen großen Bottich auf den Tisch und bereitet Feuerzangenbowle. Ich denke an Heinz Rühmann und bin voll gespannter Erwartung. Ein ebenfalls direkt vor dem Bottich sitzender Norweger denkt darüber augenscheinlich anders. Seine Leidensmiene angesichts des brennenden Pott-Rums spricht Bände und sorgt bei mir für große Heiterkeit. Die Bowle schmeckt ihm dann aber doch, wie uns allen.
Mitternacht!!
Es wird kaum rumgeknallt, dafür gespielt, gerannt, gerodelt.
Neujahr 8.00 Uhr. Da alle Norweger eigentlich schwer bespült und nicht mehr klar ihren Silvesterrausch ausschlafen müssten glauben wir, das Land jetzt für uns zu haben. Bei -10°C benötigt der "Baron" erstmalig Starthilfe durch die vorsorglich mitgenommene Autobatterie. Wir starten alle drei, seit langen wieder einmal, wohlgemut Richtung Norden. Semja Flagman wieder vereint auf Wintertour.
Kurze Probleme mit der Güllepumpe vermögen nicht die Hochstimmung zu trüben. Wir sind zusammen, fahren gemeinsam Motorrad und rings um uns ist Schnee. Das Land präsentiert sich gewohnt traumhaft. Unsere Definition von Glück und glücklich sind wir, als wir spätabends im wohlbekannten Camp in Lillehammer eine unbeheizte Hütte mieten.
In der Hütte finden wir sogar ein uns bekanntes Möbelstück, mit welchen wir vor einigen Jahren eine Menge Spaß hatten. Nun fühlen wir uns erst richtig heimisch, essen zu Abend, Schlummertrunk und ab in´s Bett.
Morgens ist es heftig kalt. Hörnchens Boxer sträubt sich ein wenig, nimmt dann allerdings gewohnt zuverlässig die Arbeit auf. Die Postkutsche streikt, Der Anlasser dreht zwar munter durch, dem Freilauf ist es zum funktionieren jedoch wohl zu kalt. Der Baron zeigt sich solidarisch und verweigert ebenfalls den Dienst. Unsere weit gereiste Benzinlötlampe steht im Keller in der Breitschuhstraße und den Fön hat sich meine Tochter Patricia zweckentfremdet zum Haare trocknen unter den Nagel gerissen.
Unser Hüttennachbar, ein Russe der mit zwei Mädels unterwegs ist, hilft uns aus. Warme Luft wirkt Wunder und endlich blubbert unser Trio vollständig vor sich hin.
Wir machen einen kurzen Abstecher in einen Konsumtempel. Ein Fön wird angeschafft, ebenso dünneres Öl für den „Baron“, Scheibenenteiser, Dekk Klister (flüssige Schneekette).
Ich hantiere während der Fahrt mit der Sprayflasche am ständig gefrierenden Visier. Plötzlich wird mir wunderlich, ganz leicht und auch absunderlich. Äther vernebelt mir die Sinne, ich finde es cool und lechze nach mehr.
Hinter mir das blanke Entsetzen. Beim nächsten Stop wird mir jedes weitere Schnüffeln vehement untersagt. Ich bekomme Hörnchens Helm nebst Heizvisier verpasst. Er hat zwar kein Kabel dabei, aber die Doppelverglasung sollte dem Vereisen länger widerstehen als mein Pin Look Visier. Allerdings ist der Helm zwei Nummern zu klein und die beiden müssen ordentlich darauf herumtrommeln, ehe er sich über meinen Kopf stülpen lässt.
Die Fahrt über das Ringebufjell im Rondanenationalpark ist beeindruckend wie immer. Ich kann nicht sagen, wie oft wir diese Strecke schon gefahren sind, die Faszination ist jedoch immer noch wie beim ersten Mal. Wer immer in Norwegen auf der E 6 unterwegs ist, sollte sich diesen Abstecher nicht versagen. Für die kleine Investition an Zeit wird man reich belohnt.
Leider gelingt es diesmal nicht, die Eindrücke in Bildern festzuhalten. Meine Nikon funktioniert zwar noch, die Daten werden jedoch nicht mehr aufgezeichnet. Die Lumix blinzelt nur kurz mit dem Objektiv und verweigert dann sofort alle Dienste.
Die Flüssigkeitskristalle an meinem Universaltacho sind auch nicht mehr erkennbar, so haben wir nicht mal die aktuelle Temperatur. Extrem kalt kommt es uns jedoch gar nicht vor.
Leider ist unser Stammquartier, ein kleiner Zeltplatz mit Hütten in Enden, nicht geräumt. Die Hütten sind zwar offen, aber auch der Sanitärtrakt ist zu. Da zudem noch die Postkutsche blaue Flüssigkeit in den weißen Schnee pieselt, beschließen wir nach einer anderen Übernachtungsmöglichkeit zu suchen.
Weit fahren müssen wir nicht, direkt an der Straße befindet sich das „Rondane Gjestegard“, scheint zwar geschlossen, doch beherzt drücken wir die Klingel.
Sekunden später stehen wir einem völlig entgeistert schauenden Mann gegenüber. Auf unsere fragenden Blicke weist er nur wortlos auf das Thermometer. Auch wir sind jetzt etwas beeindruckt. Klar, kalt ist es schon ein wenig, aber mit -30°C hatten auch wir nicht gerechnet.
Der Mann stellt sich als Christoph vor, er stammt aus Deutschland und hat erst Silvester mit Cecilie, einer Norwegerin, diese Einrichtung übernommen. Wir sind die ersten Gäste und beziehen eine traumhafte Hütte mit mehreren Zimmern, Bad und Holzofen. Meine Wertung: 5 Sterne!
Die Sache mit dem blauen Schnee stellt sich als Leck im Kühler heraus. Christoph bietet uns ohne Umschweife sein Auto zum Beschaffen des notwendigen Kühlerdichts an. Eigentlich hat man so was dabei.
Jens meint, die Kühlung ist der Fluch, mit dem er leben muss. Dafür hat die Güllepumpe eine Traktion, die Hörnchen und mich vor Neid erblassen lässt.
Aber das Problem blauer Schee ist gelöst, auch die Temperaturen haben sich bei moderaten -15°C stabilisiert und nach einem Ruhetag verabschieden wir uns von unseren Wirtsleuten und brechen auf nach Tynset.
An dieser Stelle möchte ich Cecilie und Christoph nochmals herzlich für die Gastfreundschaft und die unkomplizierte Hilfe danken. Wir wünschen Euch alles, alles Gute, jederzeit ein volles Haus und angenehme Gäste. Versprochen, wir sehen uns wieder.
Die Region um Tynset gilt als die Kältekammer Norwegens, unser nächstes Ziel. Dort residiert Marina, eine Freundin von Hörnchen, erklärte Pferdenärrin und Köchin eines legendären Farikals, eine lokale Köstlichkeit. Der letzte Anstieg vor ihrem Anwesen hat es in sich, die Güllepumpe tuckert einfach hoch als wäre nix, während BMW und Guzzi scheitern. Hörnchen montiert die Scheekette und treibt die bayrische Schrankwand unter seinem eigenen Zeremoniellgebrüll den Berg hinauf.
Die Guzzi, mehr geschoben und gezerrt schafft es letztendlich auch.
Der Tag klingt bei Farikal und Bier aus, es gibt viel zu erzählen.
Besorgt beobachten wir das Thermometer, die Gespanne stehen im Freien und wir müssen am nächsten Tag die Fähre in Oslo, gut 350 km südlich, erreichen.
Am frühen morgen ist es mit -27°C so kalt, dass erstmalig sogar die BMW nach Starthilfe verlangt. Wir benötigen über eine Stunde, ehe wir startbereit sind. Die Guzzi ziert sich am längsten. Beunruhigt registriere ich, dass ein Heizgriff nicht funktioniert. Ein Kabelbruch ist die Ursache, ich schalte beide Griffe stromlos um einem Kurzschluss vorzubeugen, krame meine dicksten Handschuhe raus und fahre los.
130 km weiter, die erste Rast. Ich fahre an der Tankstelle einfach mal vorbei, die kalten Hände können die Bremse nicht mehr ziehen. Ein Elch auf der Piste hätte mich jetzt vor unlösbare Probleme gestellt.
Wir tanken, wärmen uns auf und mir gelingt eine Reparatur der so schmerzlich vermissten Heizgriffe.
Es sind immer noch 24° unter Null.
Stunden später, wir sind bereits bei -15° in Oslo, ist der Zeitpunkt gekommen uns von Jens zu verabschieden. Er hat noch gut 180 km bis nach Hause in Porsgrunn, wir lediglich noch 2 bis zur Fähre nach Kopenhagen.
Genau dort rollen wir am nächsten Morgen ausgeschlafen und entspannt vom Dampfer.
Die Fahrt nach Gedser zur Anschlussfähre empfinden wir als wenig angenehm.
Die Dänen sind wenig Schnee mit viel Salz zu Leibe gerückt, es ist nur noch ekelhaft.
Die Fahrt von Rostock nach Leipzig steht dem in nichts nach, überall Salz.
Endlich zu Hause, eine heiße Dusche, Glühwein, Resümee.
Winterfahrten mit dem Motorrad, vor allem in Norwegen, sind traumhaft, ohne Frage. Trotzdem können auch noch so viele Erfahrungen eine akribische Vorbereitung nicht ersetzen. Hier müssen wir uns wohl durchaus den Vorwurf gefallen lassen dieses eine Mal wohl einfach etwas leichtsinnig gewesen zu sein.
Vielleicht haben wir diese Erfahrung einfach mal gebraucht, wir haben schon vielfach tiefe Temperaturen erlebt, aber noch niemals zuvor permanent über einen derart langen Zeitraum.
Die durchaus sehr reichlich vorhandene Ausrüstung wurde nicht genutzt. Wir haben unnütz Geld ausgegeben und Nerven gelassen, dabei können wir es besser. Wir beschließen uns nun jedes Jahr Silvester bei Jens in Porsgrunn zu treffen. Es wird sicher neue Herausforderungen geben, die unnötigen Schwierigkeiten dieses Jahres hingegen werden wir kein zweites mal haben. Da sind wir uns sicher.